Rupert Enticknap
Rupert Enticknap ist Opernsänger aus Oxford und lebt seit einem Jahr in Berlin. Er ist Countertenor und als Freelancer für verschiedene Opernhäuser und Orchester in ganz Europa tätig. Im Dezember steht er auf der Bühne der Oper Frankfurt und verkörpert in „Ezio“ von Gluck die Rolle des Tyrannen Caesar Valentiniano.
Erzähl uns deine Musikgeschichte ...
Meine Mutter unterrichtete Schauspiel – so wurde ich von Kindestagen an von Musik und darstellender Kunst begleitet. Ich begann als Sängerknabe in einem traditionellen, englischen Kirchenchor in Oxford. Ich hörte den Chor singen und wollte unbedingt ein Teil davon werden. Als Teenager beeinflussten mich Bands wie Radiohead und Sigur Rés. Ich begann selbst in Bands zu spielen und mehrere klassische Instrumente zu lernen.
Meine Leidenschaft für die Oper wurde geweckt, als ich die DVD einer Vorführung von Handels „Rinaldo“, gespielt von der Bayrischen Staatsoper, sah. Nach meinem Bachelor in Musikwissenschaften wollte ich Komponist werden. Meine Stimme begann sich jedoch zu entwickeln und so wurde ich für das Royal College of Music in London zugelassen, wo ich drei Jahre lang Gesang studiert habe, bevor ich ins Berufsleben eingestiegen bin.
Als Countertenor singe ich meist Musik, die für die großen Sänger des 18. Jahrhunderts geschrieben wurde – die „Castrati“. Das waren Buben, die kastriert wurden, um ihre Stimme für immer zu konservieren – ansonsten wäre sie durch den Stimmbruch verloren gegangen.
Warum hast du Berlin als Lebensmittelpunkt gewählt?
In Deutschland sind Oper und klassische Musik ein Teil der Kultur und Gesellschaft. Ich habe lange in London gelebt und studiert – eine wunderbare, aber sehr stressige Stadt. Ich reise viel und brauche als Ausgleich dazu ein Zuhause, in dem ich ankommen, entspannen und einfach ich selber sein kann. Berlin bietet in Bezug auf Kunst und Kultur wirklich alles – und das in der kompletten Bandbreite.
Drei Opernhäuser der Spitzenklasse innerhalb der Stadt bedeuten ebenso eine Fülle an guten Trainern und Pianisten, mit denen ich meine Rollen vorbereiten kann. Abgesehen davon ist die Berlin voller Musik(er) in allen Facetten – welche andere Stadt hat schon einen der besten Clubs weltweit und gleichzeitig das wohl beste Orchester?
Wie fühlt es sich an auf der Bühne zu stehen und zu singen?
Wenn ich die Bühne betrete, tauche ich in eine Sphäre der Konzentration ein, die sich anfühlt wie eine andere Ebene des Bewusstseins. Gleichzeitig bin ich aber absolut anwesend und reagiere auf und interagiere mit den Dingen, die um mich herum geschehen. Die Atmosphäre auf der Bühne ist bei jedem Auftritt anders. Manchmal ist da eine spezielle, unbeschreibliche Verbindung zwischen dir, dem Orchester, den anderen SängerInnen und dem Publikum – es ist elektrisierend!
Der Operngesang ist etwas sehr physisches und verlangt völlige Hingabe – wir reizen unsere Fähigkeiten bis ans Limit und darüber hinaus aus, sowohl körperlich als auch künstlerisch.
Welche Rolle spielt Musik in deinem Alltag?
Musik nimmt immer einen sehr großen Teil meiner Tage ein, obwohl diese nicht unterschiedlicher sein könnten – mal bin ich unterwegs zu einem Auftritt, mal schlafe ich mittwochs einfach aus oder habe eine Probe mit dem Orchester. Dann wälze ich mich auf dem Boden des Proberaums, verinnerliche Lieder, die ich auf der Bühne singen werde oder gehe Lebensmittel einkaufen. Musik ist dabei allgegenwärtig für mich: sei es in meinem Kopf, im Radio oder aus meinem Mund (heraus)kommend. Sie ist meine Leidenschaft, aber auch mein Beruf. Selten höre ich jedoch Musik zu meinem eigenen Vergnügen – oft genieße ich auch einfach nur die Stille um mich herum.
Was empfindest du, wenn du (schöne) Musik hörst?
Musik ist eine Form der Kommunikation. Musikalische Momente voller Schönheit entstehen, wenn Klang, Harmonie, Textur und Rhythmus mit einem bestimmten Augenblick, einer Erinnerung, Emotion oder einem Gefühl zusammentreffen. Diese Momente sind kaum in Worte zu fassen.
Die intensivsten Erlebnisse habe ich mit Live-Musik – ich kann die Wirkung des Schalls in meinem Körper spüren oder die Emotionen fühlen, die sich von der Bühne zu mir in den Zuschauerraum übertragen.
Ehrlichkeit ist für mich der wichtigste Aspekt in jeder Performance. Sie ist es auch, die mich am meisten bewegt – wenn ein Künstler alles gibt und voll in seiner Darstellung aufgeht.
Egal, ob als Interpret oder Zuhörer, ich verwende Musik nur sehr selten als eine Art der Flucht, im Gegenteil, ich sehe sie als Möglichkeit, um Erlebnisse noch intensiver zu untermauern. Musik zu erfahren und zu fühlen ist ein wunderbarer Teil davon, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.
Ein Leben ohne Musik wäre ...
eine noch größere Herausforderung.